Linksrum - Woche 10/2017 |
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Der Journalist und Historiker Stefan Keller hat in seiner Fotosammlung gestöbert, sich erinnert oder recherchiert. Daraus entstanden ist ein wunderbar nostalgischer Buchband. Dem Linksrum stellt Stefan Keller zehn von der Redaktion ausgewählte Bilder samt Legende mit Thurgaubezug zur Verfügung.
In der Zeit, als die Schweizer Trachten erfunden wurden,
hatten Gewerbe- und Industrieausstellungen die Schützenfeste
als Ort der vaterländischen Selbstdarstellung bereits
abgelöst. Die Landwirtschaft wollte ebenfalls dabei sein,
und zwar im allerbesten Kleide. Doch seit dem Untergang
der alten Eidgenossen war die hiesige Mode ganz durcheinandergeraten.
Selbst konservative Bäuerinnen trugen
lieber republikanische Baumwollröcke nach Pariser Art als
die brettharten Fischbeinpanzer des Ancien Régime.
Typische Trachten, wie wir sie heute aus dem Fernsehen
kennen, waren in weiten Teilen des Landes ausgestorben.
Um sie beim Landvolk wieder einzuführen, brauchte es
sehr grosse finanzielle und ideologische Anstrengungen der
politisch interessierten Kreise.
Eine Thurgauer Tracht zum Beispiel hatte es früher gar
nicht gegeben. Sowohl die traditionelle männliche wie
die weibliche Kleidung dieses Kantons habe im 18. Jahrhundert
«durchaus nichts Eigenartiges» aufgewiesen,
schreibt die führende Schweizer Trachtenforscherin Julie
Heierli 1928. Lediglich die Hüte der Frauen, eine
«wunderliche Mischung älterer und neuerer Moden», lässt
sie als Spezialität noch gelten, wobei die pfauen- oder
truthahnartige Haube, die zum Sonntagsstaat gehörte, im
Volksmund bezeichnenderweise «Schwabenhaube»
hiess und wahrscheinlich von deutschen Dienstmädchen
stammte.
Mit dem wachsenden Nationalismus des frühen 20. Jahrhunderts
werden dann landesweit neue regionale Trachten
entworfen. Auftraggeber sind meist die Bauernverbände
und die Heimatschutzbewegung, die dafür Textildesigner
beschäftigen. Bei der Realisierung erwerben sich im
Thurgau die Schneiderinnen Hulda Egolf aus Amriswil
sowie Elise Bliggensdorfer aus Neukirch (Egnach)
besondere Verdienste. 1927 findet in Märstetten die erste
thurgauische «Trachtenhochzeit» statt, und als bald darauf
die Welt in Schutt und Asche versinkt, besitzt auch meine
Mutter eine eigene Thurgauer Tracht. Man habe diese
getragen, «um sie zu zeigen», wird sie mir später sagen.
Bestellen kann man das Buch bei Marianne Sax' Buchhandlung in Frauenfeld oder in einer anderen Buchhandlung ihrer Wahl.