Linksrum - Woche 51/2016

Portrait

zugespitzt

«Das Kernanliegen ist die soziale Gerechtigkeit.»

Peter Hausammann lässt zwei linke Seelen in seiner Brust wohnen: Als Gründungsmitglied der städtischen Frauenfelder Gruppierung «Chrampfe und Hirne» und als Mitglied der SP. Der Thurgauer Oberrichter lebt gut mit der Doppelrolle.

Interview von Urs Fitze, freischaffender Journalist und Mitglied Pressebüro Seegrund

Herr Hausammann. Die dritte Gewalt im Staat, das Justizwesen, gerät ins Schussfeld der SVP, die das Primat der Politik in der Auslegung von Gesetzen einfordert. Ist davon auch am Thurgauer Obergericht etwas zu spüren, wo Sie seit 16 Jahren wirken?

Peter Hausamman: Nein. Es gab und gibt keinerlei politischen Druck. Die Gewaltenteilung wird im Thurgau von allen politischen Kräften respektiert. Die Gerichte sind in der Rechtssprechung für die Auslegung der Gesetze zuständig. Wenn der Legislative das nicht passt, muss sie die Gesetze ändern. Das gilt auch für die SVP, die auf der nationalen Bühne ja ein seltsames Verständnis von der Rolle der Gerichte an den Tag legt. Im Thurgau ist die Partei sicher staatstragender, was ihren ideologischen Eifer dämpft. Aber während es vor zwanzig Jahren noch kaum Exponenten gab, die den Rechtsaussenkurs des Zürcher Flügels stützten, so ist es heute - wohl etwa die Hälfte der -Grossratsfraktion.

Sie sind der erste vollamtliche Oberrichter aus der SP Thurgau. Wie kam es dazu?

Bis zu meiner Wahl gab es drei ständige Oberrichter. Die bürgerlichen Parteien haben sich diese Posten stets unter sich aufgeteilt. Als es im Rahmen einer Gesetzesrevision zu einer Erweiterung auf vier bis fünf Richter kam, hat der damalige Fraktionspräsident Claudius Graf-Schelling sofort reagiert und den vierten Sitz für die SP reklamiert. Er setzte sich durch. Der Anspruch ist ja angesichts unserer Parteistärke auch legitim.

Sie waren 1999 nach dem kurzfristigen Rücktritt des Parteipräsidenten und der Parteisekretärin für ein halbes Jahr interimistisch Parteipräsident. Als auch noch Regierungsrätin Vreni Schawalder aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten musste, kam mit einer dreifachen Nachfolgeregelung einiges auf sie zu. Wie haben Sie die Aufgabe gemeistert?

Im Team. Ohne die Mitglieder der Geschäftsleitung wäre dieses Krisenmanagement kaum zu stemmen gewesen. Die Nachfolge von Vreni Schawalder war nicht ganz einfach. Die Bürgerlichen dachten damals darüber nach, den Sitz der SP streitig zu machen.

Weshalb haben Sie das Präsidium nicht definitiv übernommen?

Aus der Partei hätten sich das einige gewünscht. Aber meine Position war immer klar gewesen. Ich war Vater von zwei Kleinkindern und selbständiger Anwalt. Ein solch zeitintensives Amt sprengte schlicht meine Möglichkeiten. Und verzetteln, das wollte ich meine Kräfte nicht. Mit der Wahl ins Obergericht war für mich klar: Auf der kantonalen Bühne würde ich politisch keine führende Rolle mehr spielen. Das verbietet mein Verständnis von Gewaltenteilung.

Zwei politische Seelen, so scheint es, wohnen in ihrer Brust. In der Stadt Frauenfeld politisieren Sie bis heute für die Lokalpartei Chrampfe und Hirne, auf der kantonalen Bühne für die SP. Wie schlägt Ihr politisches Herz?

Das schlägt sicher primär für Chrampfe und Hirne. Das heisst aber keineswegs, dass ich mich nicht als Sozialdemokrat empfinde. Ganz im Gegenteil. Die SP ist und bleibt für mich die einzige politische Kraft, die sich für soziale Gerechtigkeit und den Kampf gegen die Ungleichheit einsetzt. Das sind die entscheidenden Fragen, um die es im Kern fast immer geht. Chrampfe und Hirne begeistert mich bis heute, weil es auf der lokalen Ebene viel besser gelingt, seine Überzeugungen einzubringen und im Diskurs mit den anderen politischen Kräften pragmatisch nach Lösungen zu suchen.

Als Mitbegründer von Chrampfe und Hirne zielten Sie 1983 aber schon gegen die SP.

Nein. Nicht gegen die SP, sondern gegen die althergebrachte, konventionelle Politik. Wir hatten uns zuvor vor allem für kulturelle Belange engagiert, namentlich ging es um Räumlichkeiten, für mehr günstigen Wohnraum und für den Langsamverkehr. Dazu kamen der damals aufkommende Umweltschutz und die Gleichberechtigung der Geschlechter. In Frauenfeld, auch in der SP, waren das Randthemen, niemand interessierte sich. Da nahmen wir das politische Heft selbst in die Hand und haben damit einigen Erfolg erzielt, übrigens in der Regel mit und nur selten gegen die SP. Chrampfe und Hirne stand und steht der SP ideologisch nahe. Aber wir beschränken uns bewusst auf die Frauenfelder Lokalpolitik. Ausserhalb sind unsere Mitglieder frei, wo und wie sie sich politisch engagieren wollen. Die meisten tun es wie ich in der SP.

Und wie steht Chrampfe und Hirne heute zur SP Frauenfeld?

Die Gegensätze von damals sind längst überwunden. Wir arbeiten immer wieder zusammen, aktuell etwa in der Beratung des städtischen Budgets. Den grössten Unterschied sehe ich im Verhältnis zum Staat. Die SP politisiert sicher staatsnaher, wir sind da etwas distanzierter.

Sie blicken auf vier Jahrzehnte aktive linke Politik zurück. Ihre Bilanz?

Als linker Politiker muss man hierzulande lernen, mit Niederlagen zu leben. Viele unserer Anliegen brauchen Zeit und Geduld, bis sie mehrheitsfähig sind. Im Kern geht es darum, zu seinen Überzeugungen zu stehen und sie zu vertreten. Das ist mir gut gelungen.

Linke Politik hat im Kanton Thurgau einen traditionell schweren Stand. Wie gross ist der Spielraum heute?

Sicher nicht kleiner als früher. Und das Kernanliegen ist so aktuell wie eh und je: Gerechtigkeit.

Wo stehen Sie in der aktuellen Klassenkampf-Debatte?

Mit waren die ideologischen Grabenkämpfe schon in meiner Studienzeit viel zu abgehoben. Ich mag und brauche es praktischer und pragmatischer. Ich höre deshalb den Begriff Klassenkampf nicht besonders gern, er löst einfach Assoziationen aus, die heute nicht mehr passen. Ich kann mich auch wenig begeistern, wenn jetzt Genossenschaften als Mass aller Dinge auf den Schild gehoben werden, um den Kapitalismus zu überwinden. Genossenschaften sind gut, aber es gibt auch andere Unternehmensformen. Ich kämpfe für die soziale Gerechtigkeit im Rahmen der geltenden Wirtschaftsordnung.


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